großer Strom

Foto: Thomas Loisl Mink
Foto: Thomas Loisl Mink

 

Im Basler Rhein gibt es seit gut einem Jahrzehnt eine neue Volkssportart: das Rheinschwimmen. Ich kann mir auch mittlerweile nichts besseres vorstellen, als eine Altstadt schwimmenderweise aus dem Fluss zu entdecken. Die Perspektive ist überragend und ungewohnt und man darf sich einfach treiben lassen. Bei Sportambitionen auch mal ein paar Minuten gegen die starke Strömung schwimmen, nur um sich dann weiter unter den Basler Rheinbrücken treiben zu lassen. Irgendwann kann man am Ufer aussteigen, leicht bekleidet mit guter Sommerlaune und dem sogenannten "Schwimmfischli" im Gepäck wieder Rheinaufwärts laufen, sich ein kleines Weggetränk gönnen und einige hundert Meter flussaufwärts die zweite Runde starten. Ganz einfach der Strömung des Rheins folgen und sich in den Strom des Volkssports mit einklinken. 
(Ich empfehle euch wärmstens mehrere Rheinschwimmungen diesen Sommer - solltet ihr an Basel vorbeikommen.) 

Am Basler Ufer lässt sich dieser "Mainstream" beobachten ....

Dieser Stromgedanke soll hier etwas weiterfließen dürfen, denn er begegnet mir momentan an vielen unterwarteten Ecken und ich erlebe dadurch eine neue Perspektive - sozusagen, vom Fluss aus - auf alte Gedanken, altes Wissen und alte bekannte Größen meines Lebens....

 

Ich mache eine in die Jahre gekommene Hemnes Kommoden- Schublade der Kinder auf und räume zusammengelegte Oberteile meiner Tochter rein. Mir begegnet hier der Strom der Kleider meiner Kinder.
Die Kleider meiner Kinder, und zwar sage und schreibe an die 90% der Kleider, fließen in einem second-hand-pre-loved Strom. Das ist gar nicht so schwer. Wenn auch etwas weniger individuell oder unstylischer - manchmal stilsicherer, manchmal richtig hip. Ganz ehrlich, 9 von 10 Unterhosen, Socken, Hosen, Kleidchen, Jäckchen und teilweise gesamt-Outfits fließen in diesem Strom und erfreuen meine Freundinnen. Erfreuen mich. Erfreuen meine Kinder und unsere Omas und Opas, die mehr Geld für andere Geschenke übrig haben ; ).
Eine andere smarte Freundin begann in mitten des scharfen Lockdowns letztes Jahr eine Whats-App-Gruppe mit dem treffenden Namen „Tausch dich glücklich“ - in der die Frauen, die ihre Kleidung tauschen wollen, einen authentisches Modelbild ihrer selbst mit dem tauschbaren Kleiderstück tragen und zum Tausch in die Gruppe stellen. Dann wird Interesse geäußert und getauscht. Andere smarte Ladies meines Freundeskreises machen Kleider-Tausch-Partys mit Freundinnen. Beide Formate haben einen sozio-emotionalen positiven Nebeneffekt: Selbstannahme und positive Reflexion, authentisches Körperbild erleben inklusive - on the Go, sozusagen.

 

Wir ziehen bald für einige Zeit auf einen anderen Kontinent, in ein afrikanisches Land - und werden von einem Strom aus Finanzen aus unterschiedlichsten Quellen unterstützt. Super weit aufgefächert, das Unterstützer-Spektrum, von überall her, das Schöne daran, diese Gelder empfinde ich auch als sogenannte Stromgelder, keine Bestands- oder Besitzgelder, kein stehendes Gewässer für miese Mücken und Tiere und Krankheiten wie Geiz oder Ehrgeiz. Es handelt sich wohl eher um eine fließende Unterstützung von überall, die in weiterhin verschiedene Richtungen gelenkt wird und weiterfließt.

Auch Bildung und unser Wissen, Fachwissen und Erfahrungswissen empfinde ich als Strom. Ein ständiges Fließen von einem Hirn mit Herz zum nächsten. Auch hier, bleibt es im schönsten Fall nicht stehen, statisch, wird zu abgehobener Elfenbeinturmweisheit oder toter Statistik, sondern bleibt in einer fließenden Dynamik.


Von Erwachsenen zu Kindern.
Von Kindern zu Erwachsenden.
Von Dozierenden zu Studierenden
und umgekehrt.
Von einem Land ins Nächste.
Von einem (virtuellen) Raum in einen neuen (realen) Raum.
Von einem Kontinent auf einen anderen Kontinent.
Und wieder zurück.
Das Fließen erscheint mir als eine wunderschöne hilfreiche Stromeigenschaft.

 

Mich selbst zu verstehen,
im großartigen Strom des Lebens, der Begegnung, von pre-loved-Kleidung, pre-loved wisdom, pre-loved knowledge,
hört sich schrecklich pathetisch an. Ich weiß.
Im angenehmen Fließen des Lebens eingebunden zu bleiben -noch schlimmer, ich weiß. 

Ich will dieses Bild des Lebensflusses auf keinen Fall überstrapazieren- wie ließe sich dennoch dieser Gedanke auf schöne Art festhalten?
Tippe ich, und bemerke im selbem Moment, dass das Festhalten die Krux der Sache ist.
Dieses Festhalten ist die Unmöglichkeit und "Unnötigkeit".

 

Es gilt nicht
den Strom festzuhalten


Es gilt 

mitzuschwimmen

Reinspringen
mitschwimmen

(rheinschwimmen)

 

Und ab und an als kleiner Fisch
bewusst unter Wasser Luft holen,
auftauchen
einmal drauf gucken
mit einer Packung Dankbarkeit
wieder voll und ganz eintauchen
in diesen schönen Fluss des Lebens
darum geht es beim Fließen


und manchmal
wie Mascha Kaleko wundersam zusammenfasst

"wenn die Wellen über mir zusammenschlagen"
denn auch das kennt jeder kleine Fisch,
„dann tauche ich hinab
um nach Perlen zu fischen“.

 

Mehr ist nicht nötig.
Meer kommt von ganz alleine.

 

 

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