Kleine Einsamkeiten

 

Ich sitze gerade alleine auf meinem Balkon, die Sonne scheint und es ist endlich Frühling geworden. Schon seit ein paar Wochen möchte ich einen Text über Einsamkeit schreiben, aber das ist gar nicht so einfach. Einsamkeit ist irgendwie immer noch ein Tabuthema, obwohl ich eigentlich den Eindruck habe, dass seit der Pandemie mehr und offener über die Einsamkeit gesprochen wird, auch und vielleicht gerade weil sie zugenommen hat.

 

Einsamkeit? Wer gibt schon gerne zu, dass er einsam ist, sich einsam fühlt? Für mich war das Thema lange Zeit sehr schambehaftet, als wäre es einem persönlichen Versagen geschuldet, einsam zu sein. Klar manchmal ist es das vielleicht auch, aber ich glaube in den seltensten Fällen. Einsamkeit hat viele Gesichter, letztes Jahr zum Beispiel habe ich mich über Monate einsam gefühlt. Ich dufte plötzlich nicht mehr auf die Arbeit, keine Kooperationspartner und Kollegen mehr treffen. Manche Menschen kamen mit dem Homeoffice ja ganz gut klar, aber für mich war es ehrlich gesagt die pure Einsamkeit. Tag ein Tag aus alleine Mittagessen, alleine Kaffee trinken, alleine Stunde um Stunde vor dem PC sitzen. Ich habe richtig gemerkt, wie mir die Einsamkeit aufs Gemüt schlug. So sehr, dass ich mich schließlich entschieden hatte den Job zu wechseln. Hauptsache kein Homeoffice mehr! Ich kann mich aber auch noch gut an viele einsame Sonntage als Single erinnern. Irgendwie waren die Sonntage immer am schlimmsten, weil gefühlt alle Familyzeit hatten und man selbst kaum wusste, wie man die vielen Sonntagsstunden rumbringen sollte.

 

Ich finde die Einsamkeit ist ziemlich fies. Sie ist so subtil und zugleich beharrlich präsent. Man kann sich auch umgeben von Menschen einsam fühlen. Ich weiß noch genau, wie alleine ich mich gefühlt habe, als ich als Jugendliche mit meiner Familie nach Peru gezogen bin. Ich war umgeben von Menschen, lebte in einer 11-Millionenstadt, war in der Klasse beliebt und trotzdem fühlte ich mich schrecklich einsam, weil ich mich auf einer tieferen Ebene – sozusagen von Herz zu Herz - nicht verstanden und gesehen fühlte. Seit der großen Einsamkeit in Peru begleitet mich die Angst vor der Einsamkeit – egal wo ich hinziehe, welche Lebensphase neu beginnt, immer habe ich Angst davor einsam zu sein. Lange Zeit habe ich nicht darüber gesprochen, bis andere Menschen sich trauten über ihre Erfahrungen von Einsamkeit zu sprechen. Ihr Mut hat mich angesteckt und ich habe  gemerkt: Ich bin nicht alleine mit der Einsamkeit. Nicht alleine mit der Angst, dass sie wieder mal als ungebetener Gast kommt. Mittlerweile fühle ich mich mehr zu Hause bei mir. Bin mir selbst nicht mehr so fern, wie früher. Und für mich ist auch Gott ein Zuhause geworden.

Der Psalmist schreibt so unglaublich poetisch: „God, it seems that you have been our home forever.“ Psalm 90:1

Gott als Herberge. Als göttliches Du. Als Gegenüber. Als einer, der selbst sehr oft alleine war - der weiß, wie das ist.

 

Irgendwann wurde mir mal der Gedanke geschenkt, dass ich die Einsamkeit ja auch als Freundin sehen könnte. Feinde sind bedrohlich, man möchte sie beseitigen. Aber vielleicht ist die Einsamkeit ja auch eine alte Freundin, die es gut mit uns meint. Vielleicht will uns einfach darauf aufmerksam machen, dass wir die Verbundenheit brauchen, dass wir das Zuhören und Gesehenwerden brauchen. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber findet dafür Worte, die ich mir immer wieder ausleihe: „Unerforschlich einbegriffen leben wir in der strömenden Allgegenseitigkeit.“ Die strömende Allgegenseitigkeit ist die tiefe, eigentliche Verbundenheit von Familie Mensch.

Schon oft habe ich gelesen, dass Meditation uns hilft, unser Bewusstsein für unsere allgegenwärtige Verbundenheit zu schärfen. Und tatsächlich gibt es Tage der Stille, da erhasche ich einen Glimpse, einen Funken davon und weiß mich verbunden mit "Mutter Erde, Bruder Feuer, Schwester Mond". (Franziskus)

 

Es ließe sich noch so viel mehr dazu schreiben, aber ich verbleibe mit einem Wunsch: Ich wünsche mir, dass wir auch füreinander ein Zuhause werden. Vielleicht für ein paar Stunden, vielleicht für ein paar Jahre, vielleicht für immer. Ich wünsche mir eine Gesellschaft mit offenen Türen und Herzen zum Eintreten, Verweilen, Tee trinken und Karten spielen.

Dafür möchte ich mir Zeit nehmen!

 

 

 

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