Mal eben: zwei Fragen

"Der Kreisverkehr wurde zu seinem Ausgangspunkt".

Bild von Pixabay: Pexels
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Schreibt Dave Eggers über Mokhtar, die Hauptperson seines Buches. Der Satz steht genau in der Mitte dieses Buches.

Ohne Wertung. Einfache Beschreibung. „Der Kreisverkehr wurde zu seinem Ausgangspunkt.“

 

Ich liebe diesen Satz. Ich stolperte über ihn und er ließ mich über die nächsten 178 Seiten nicht mehr los.

Er fuhr immer wieder zum Kreisverkehr. Schlug jeden Morgen eine andere Himmelsrichtung ein. Blinker setzen, abbiegen. Neue Strecke fahren. Und abends oder nach 3 Tagen fuhr er zurück. Zu diesem Ausgangspunkt. Umkehren zu dem Anfangspunkt.

 

Zwei Fragen, weil wir befinden uns in der Zeit der Fragen.
Zwei Fragen, die ich noch nicht beantworten kann.
Zwei Fragen, die ich stelle und irgendwie offen lasse.

 

Was ist denn mein Ausgangspunkt?
Wieso fühlt sich zurückkommen zu einem inneren Kreisverkehr denn oft so schrecklich und unglaublich negativ an? Woher diese ganzen Bewertungen?

Wie oft dachte ich mir, im Verlauf eines Jahres schon, „oh man, das sind einfach meine Themen, ich komme da nicht weiter, ich bin schon wieder an diesem Punkt und ich komme keinen Meter oder Zentimeter voran.“ Kennst du das? Diese fiese innere Stimme, die vieles reduziert und deine Schritte abwertet, den Weg verleugnet, den du gegangen bist und so tut, als ob du dieselbe Person - mit dem gleichen Problem - nur zu einem anderen Zeitpunkt bist?? Diese fiese Dame, die sagt „großes L auf deiner Stirn, echt, Loser, lass es doch bitte, es wird nichts mehr werden...????“ Kennst du die oder habe nur ich so innere Fieslinge??

Die Fiesen, die alles, was dazwischen war, jeden Schritt, jeden neuen Gedanken total ausblenden und verleugnen und nur das Ergebnis sehen, nämlich, dass du als du schon wieder an diesem bescheuerten Kreisverkehr eine Runde drehst, obwohl du doch eigentlich schon mal 70 km weiter südlich warst und da auch sein wolltest??

Wie siehst du deinen Ausgangspunkt? Wertest du? 
Und was wäre, wenn dein Ausgangspunkt auch ein Kreisverkehr wäre? Und ein Lebensjahr ein immer wieder zurückkommen zu dem eigentlichen Mittelpunkt, von dem aus alle Weg offen liegen, von dem aus alle Freiheiten in alle Richtungen offen sind.

Zu viel Freiheit?
Ja, vielleicht.

 

Da erscheinen mir die Einbahnstraßen doch ein-facher. Ohne überlegen, ohne Schulterblick, ohne Blinker setzen, ohne Denken, einfach nur gerade aus.
Aber vielleicht auch einfach stinkelangweilig.
Straight.
Welcher Weg ist schon gerade?
Welcher Lebenslauf straight?
Welche Identität einfach?
Welche Biographie normal?

Will ich diese Bewertungen? Oder vielleicht andere? Neue?

 

Dave Eggers beschreibt in dem Buch einen jungen attraktiven jemenitischen Mann, Mitte 20, der versucht, sein Lebensprojekt, seine Leidenschaft umzusetzen. Er reist von San Francisco nach Sanaa im Jemen mit dem Ziel, sich einen Überblick und Durchblick über die Kaffeekirschen-Landschaft im Jemen zu machen, die Anbaumethoden und Kaffeefarmer persönlich kennen zulernen und, vielleicht, wenn alles so klappt, wie er es sich wünscht, ein oder zwei Bohnenraritäten aus dem Jemen in die USA zu exportieren, die Kaffeewirtschaft etwas zu verändern und eventuell sozial gerechter zu gestalten. Also steigt er jeden Morgen mit einem Vertrauten ins Taxi, um am Kreisverkehr einen neuen Weg einzuschlagen. Er fährt fast täglich neue Strassen und Routen. Kreisverkehr. Er bewahrt sich über Monate eine Offenheit für neue Orte, neue Farmer, neue Geschmäcker. Symbolisiert durch diesen ollen Kreisverkehr.

Das alles im Jahr 2013/2014, dem politischen Chaos in Sanaa und Aden, den Huthi-Rebellen an jeder Ecke und Al-Quaida um die Ecke. Straßenkontrollen von Huthi-Rebellen-(die noch Kinder sind) so ca. alle 7 km.

 

Der Kreisverkehr wurde zu seinem Ausgangspunkt.
Von hier kann er in alle Richtungen.
Von hier kann er selbst entscheiden wohin.
Kreisverkehr heißt Abwechslung und

Punkt großer Freiheit. Größter Entscheidungsfreiheit und Traum-Autonomie.
Kreisverkehr, Zeit mitbringen und dann steht einem jede Himmelsrichtung offen?

Ausgangspunkt der Offenheit, zu dem ich immer wieder zurück kommen kann. Langsam wird er vertrauter und ich verbinde mit unterschiedlichen Wegen unterschiedliche Menschen, Begegnungen, Straßenverhältnisse. Ich beginne mich, auf meiner inneren Landkarte besser zurecht zu finden. 
Und ich lerne: 
Ich kann variieren.
Ich kann selbst entscheiden, wie ich reagiere.

„Eine unserer größten Freiheiten liegt darin, wie wir auf Dinge reagieren“, erklärt der Maulwurf dem Jungen. Und es hört sich sehr einfach an.

Der Kreisverkehr ist ein Symbol für mich, ein Symbol meiner Freiheit, immer wieder zu meinem Grundanliegen zurückzukommen. Oder ja, sogar von ihnen auszugehen und dann - neue Wege, neues Handeln, neues Verhalten, neues Denken, neues Fühlen einzuüben. Wenn nötig, jeden Montag. Im Oktober kann ich mal diesen Gedankenweg mit dem Taxi fahren, im November mit Handschuhen einen anderen Weg entlang radeln und im Dezember mich auf den Sitz hinter einen Motorrad-Taxi-Fahrer setzen, den guten Bauch des lieben Mannes fest umarmen, bis er lachen muss, und einen anderen Gefühlsweg entlang düsen. Ich bin frei. Ich habe die innere Freiheit, zu reagieren. Wenn ich mich zwischendurch an den Maulwurf, den Jungen, an Mokhtar und den Kreisverkehr erinnern lasse.

 

In einer Zeit, in der es viele externe Stressoren (siehe ARD 20:00 Uhr Nachrichten oder Spiegelonline) gibt, ist dieser wohlwollende Blick auf meine eigenen Themen, meinem eigenen Kreisverkehr sehr angenehm.


Vielleicht kann ich mir die innere Freiheit schenken, mir erlauben,
neue Gedankenwege zu gehen und anders zu handeln,

wirklich frei zu handeln,
auch wenn ich mich äußerlich, mit Mantel, Schal, Maske (mondkapje auf holländisch), Mütze und Herbstoutfit etwas mehr einschränken sollte....

 

Wie stehts um meine innere Freiheit??

Wer hätte gedacht, dass mich dieser Satz aus dem Buch „der Mönch von Mokka“ - zur Frage meiner inneren Freiheit führt und der Kreisverkehr mein Sinnbild positiven Handelns in Zeiten von äußerer Begrenzung für mich werden kann....???

 

Ich nicht.

 

 


Aber da sind sie wieder. Diese Wortbilder. Fragen. Sätze, liebevoll und diszipliniert zusammengefügte Worte, die Bilder entstehen lassen, die wahr sind und für mich wahr werden.

 

 

 

 

 (aus: Der Mönch von Mokka, S.196, Dave Eggers und aus: Der Junge, der Maulwurf, der Fuchs und das Pferd, von Charly Mackesy).

 

Bild von Pixabay: Greg Reese
Bild von Pixabay: Greg Reese

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