Sommer - 40 Grad und ich geh' pilgern

Wir hatten jeden Anfängerfehler gemacht, den man nur machen konnte.
Statt wie alle anderen Pilger gegen 06:00 Uhr morgens aufzubrechen, machen wir es uns noch in Tui gemütlich und starten um 14:30 Uhr in der spanischen Mittagshitze. Es hatte gefühlte 40 Grad und eigentlich waren wir schon nach einer Stunde fix und fertig. Wir banden uns einen Turban aus nassen Tüchern um den Kopf. Ich war mir trotzdem nicht sicher, ob wir nicht einen Sonnenstich bekommen würden.

Endlose spanische Landstraße. Bergdörfer. Frische Zitronen an kräftigen grünen Zweigen. Gegen 19:30 Uhr waren wir völlig erschöpft, aber noch immer nicht an der Herberge angelangt. Wir entschieden uns gleich am ersten Tag zu cheaten. Stellten uns auf die Straße, irgendwo im nirgendwo und warteten, ob uns jemand mitnähme. Kein Auto, nichts, Minuten vergingen, es war wohl doch etwas zu ländlich. Wir liefen noch ein paar Kilometer, bis uns mitten auf einer Brücke ein junges spanisches Pärchen lachend aufgabelte. Sie ließen uns direkt vor der Herberge raus. Bisschen peinlich war uns das schon, wir hofften, dass die anderen Pilger nicht sähen, wie wir aus dem Auto ausstiegen. Es war mittlerweile vielleicht 21:00 Uhr und der alte Mann in der Herberge schaute uns nur unglaubwürdig an, als wir fragten, ob noch ein Bett frei wäre. Anfängerfehler, die Herbergen sind oft schon ab 15:00 Uhr voll. Wir fühlten uns wie Maria und Josef. Nur hatten wir die Möglichkeit dann in einem kleine Hotel mit dem Namen Azul zu schlafen. Nach der herrlichen Dusche, schmierten wir unsere Beine mit Voltaren ein und konnten nicht aufhören, über uns selbst zu lachen.


Das Pilgern lehrt einen gelassen zu werden. Jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt. Man freut sich über jede Stunde ohne Blasen an den Füßen. Teilt seine Pflaster mit denen, die welche haben. Man verläuft sich, verliert Zeit, findet ein kleines spanisches Restaurant mit einem Piligermenü für 5 Euro. Man steht früh auf, sieht einen Feigenbaum, denkt nach fünf Stunden - jetzt geht es keinen Schritt mehr weiter. Und dann geht es doch wieder weiter.

 

Die ersten Tage fragt man sich: warum tue ich mir das nur freiwillig an? Warum laufe ich Stunde um Stunde, der Rucksack so schwer, die Schuhe drücken, in den Herbergen schnarchen die Männer um die Wette... während andere ihren Urlaub am Strand verbringen. Aber dann allmählich stellt sich eine herrliche Ruhe ein. Schritt für Schritt kehrt Stille ein. Die Gedanken werden leiser.


Es herrscht eine eigenartige, heilige Stimmung auf dem Jakobsweg. Jeder grüßt sich, man wünscht sich "bon camino!" Der Pilgerer ist einbegriffen in eine größere Gemeinschaft. Gelegentlich erzählt man sich seine Geschichte, woher man kommt, warum man geht. Dann lässt man sich weiterziehen, weiter laufen, trifft sich zufällig drei Tage später in einer abgelgenen Herberge und freut sich, als wäre man alte Bekannte. Es ist unglaublich friedlich, Christen, Buddhisten, Atheisten laufen zusammen. Man hört spanische Katholiken fröhlich vor sich her singen und zwei Koreaner leiser miteinander sprechen.

 

Alles, was man braucht, ist in einen Rucksack gepackt. Und schon nach kurzer Zeit gewöhnt man sich an die wenigen Habseligkeiten. Ein leises, glückliches Gefühl der Freiheit stellt sich ein. Das Zeitgefühl verändert sich. Es gibt genug Zeit zu sein. Man wird aufmerksamer, sieht den alten Bauern aus seinem Weinberg grüßen. Hier und da ein Orangenbaum in voller Blüte. Bohnen aus der Dose schmecken auf einmal so gut.


Beim Pilgern ist der Weg das Ziel, wie es so schön heißt. Ein paar Tage fernab  der Leistungsgesellschaft. Wie herrlich. Wie wohltuend. Wer es einmal ausprobiert hat, will es nicht mehr missen.

 

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